LAPP

Frau Prof. Hölzle, wenn wir von Robotik oder Robotern sprechen – wovon genau sprechen wir da?
Katharina Hölzle: Ein Roboter ist per Definition ein programmierbares Gerät, das aus elektronischen, elektrischen und mechanischen Komponenten besteht. Robotik umfasst dabei nicht nur die Konstruktion und Programmierung von Robotern, sondern auch ihren Einsatz im Gesamtsystem – also auch die benötigten Umgebungsinstrumente und Infrastruktur. Besonders spannend wird es, wenn wir die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter betrachten: Cobots, humanoide Roboter oder andere kollaborative Systeme werden heute und in Zukunft immer wichtiger.

Prof. Dr. Katharina Hölzle, Institutsleiterin IAT der Universität Stuttgart, geschäftsführende Institutsleiterin Fraunhofer IAO und Technologiebeauftragte der Ministerin für Wirtschaft

Hat sich die Definition über die Jahrzehnte verändert?
Katharina Hölzle: Die grundlegende Definition ist im Kern über die letzten 50 Jahre unverändert geblieben, da die wesentlichen Bestandteile eines Roboters stabil sind. Was sich allerdings deutlich verändert hat, ist die Art und Weise, wie Mensch und Roboter interagieren. Nach einer längeren Phase des Stillstands erleben wir aktuell durch große Fortschritte in Künstlicher Intelligenz und moderner Sensorik einen dynamischen Aufschwung in der kollaborativen Robotik.

Robotik gilt als Schlüsseltechnologie der Industrie 4.0. Wie bewerten Sie den aktuellen Reifegrad robotischer Systeme?
Katharina Hölzle: Wie gerade gesagt, befinden uns auf einem Aufschwung nach einer Plateauphase. Die Digitalisierung und der Einsatz von KI treiben die Integration robotischer Systeme voran. Wichtig dabei ist, dass wir zukünftig eine gemeinsame Plattform schaffen, auf der Sensorik, Aktuatorik und Algorithmen zusammenarbeiten. Dazu brauchen wir offene Datenräume und interoperable Systeme, um den nächsten Produktivitätssprung zu erreichen.

Herr Breier, wenn Sie das hören: Was bedeutet Robotik konkret für LAPP? Wo begegnen LAPP Produkte Robotik-Anwendungen heute?
Hubertus Breier: Robotik ist eines der anspruchsvollsten Anwendungsfelder für unsere Verbindungslösungen. Durch die dreidimensionale freie Raumbewegung wirken auf die verbauten Kabel gleichzeitig Biege- und Torsionskräfte, die eine extreme Belastung darstellen. Das erfordert hochentwickelte Kabelkonstruktionen, etwa bei der Art der Verseilung der einzelnen Adern und deren Abschirmung. Für diese Herausforderungen haben wir spezielle Kabel, Steckverbindungen und Schleppketten entwickelt. Unser gesamtes Portfolio und alle unsere acht Produktmarken finden Anwendung – von Datenkabeln über Steuerleitungen bis zu Kennzeichnungslösungen. Namhafte Roboterhersteller wie Stäubli, Comau oder Dürr gehören zu unseren Kunden. Besonders bei Cobots sehen wir eine wachsende Nachfrage nach miniaturisierten, flexiblen Verbindungslösungen und Retrofit-Produkten, um zusätzliche Sensorik oder Greifer am Roboterarm mit Energie und Daten zu versorgen.

Hubertus Breier, Chief Technology and Innovation Officer (CTO) bei LAPP

Wo steht LAPP bei der Robotik heute, und wohin will das Unternehmen sich entwickeln?
Hubertus Breier: Durch den Zukauf von Muller et Landais (heute Lapp Muller), einem Unternehmen, welches sich auf Kabel für Industrieroboter spezialisiert hat, reagierte Lapp bereits Anfang der 2000er Jahre auf den Trend Robotik. Aktuell sehen wir jedoch eher ein moderates Wachstum im Bereich der klassischen Industrieroboter, ein starkes Wachstum hingegen bei Servicerobotern, etwa in der Pflege oder Logistik. Der asiatische Markt wächst rasant, weshalb wir dort unsere Produktion und Präsenz deutlich ausbauen. Zudem investieren wir gezielt in die Bereiche Industrial Communications und Harnessing Solutions – also z.B. bereits konfektionierte Dresspacks, die für Robotik-Verkabelungen entscheidend sind. Ein Beispiel aus der Praxis: Wir entwickeln Kabel, die auf einem Meter Länge bis zu zwei Drehungen um deren eigene Achse aushalten und davon zehn Millionen Zyklen überstehen. Außerdem arbeiten wir global mit unseren Landesgesellschaften an verschiedenen Spezialprojekten, wie Kabel für Tauchroboter, wie sie beispielsweise bei der Erforschung des Titanic-Wracks zum Einsatz kamen.

Wie verändert die zunehmende Zusammenarbeit von Mensch und Roboter unsere Arbeitswelt?
Katharina Hölzle: Die Vorstellung, dass ein Roboter einfach alle Arbeit übernimmt und der Mensch nur noch einen Knopf drücken muss, ist falsch. Vielmehr ist es ein permanentes Aushandeln: Wo kann der Roboter sinnvoll unterstützen, wo bleibt der Mensch in der führenden Position? Besonders im Bereich der Servicerobotik, zum Beispiel in der Pflege oder Forschung, entstehen aktuell spannende Anwendungsfelder. Hier ist auch das Thema Mensch-Roboter-Interaktion entscheidend – wie nehmen Menschen Roboter wahr, wie reagieren sie emotional auf deren Bewegungen? Standardisierung und Sicherheitsaspekte sind dabei wichtig, etwa die Frage, wie ein Roboter dem Menschen signalisiert, dass er ihn „gesehen“ hat. Zugleich erleben wir, dass Menschen zunehmend eine emotionale Bindung zu KI aufbauen, die sie als „besseres Teammitglied“ wahrnehmen. Diese Akzeptanz möchten wir auch in der Robotik erreichen.

Welche Branchen profitieren besonders von der Servicerobotik?
Katharina Hölzle: Naheliegend sind Gesundheitsbranche und Pflege, trotz hoher Anforderungen an Datenschutz und Privatsphäre. Hier besteht jedoch große Offenheit gegenüber Robotik, da die Technik Entlastung bietet. Auch Bereiche wie Industrie, Forschung, sowie extreme Umgebungen – etwa heiße Regionen für Photovoltaik-Installationen oder Unterwasser-Anwendungen – bieten großes Potenzial. Serviceroboter können dort Tätigkeiten übernehmen, die für Menschen schwierig oder gefährlich sind oder in Bereichen ausgeführt werden müssen, die für Menschen nicht ohne Weiteres zugänglich sind.

Hubertus Breier:
Für uns bei LAPP ergibt sich daraus zum Beispiel ein ganz klarer Arbeitsauftrag: Verbindungslösungen zu entwickeln, die auch unter extremen Bedingungen zuverlässig funktionieren – etwa bei hohen Temperaturen oder für extrem widrige Umgebungen.

Wie integriert LAPP diese Anforderungen in seine Produktpalette?
Hubertus Breier:
Wir setzen auf leichte, torsionsfähige und robuste Kabel. Wichtig ist uns dabei auch eine möglichst realistische Prüfung der Produkte. Neben den typischen und geforderten standardisierten Tests für Kabel führen wir eigene zusätzliche Testmethoden durch. Im medizinischen Bereich sind Hygiene und einfache Reinigung wichtig, in der Lebensmittelindustrie die Eignung für saubere Umgebungen. Im Gegensatz zu Industrierobotern sind die Kabel bei vielen Servicerobotern heute noch meist weniger komplex, dennoch stellen sie spezielle Anforderungen. Wichtig ist für uns, das Feld Robotik gezielt zu fokussieren und eng mit Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten, um die Anforderungen von Morgen zu identifizieren.

Frau Hölzle, welche Erwartungen haben Sie als Vertreterin der industrienahen Forschung an Industrieunternehmen?
Katharina Hölzle: Wir schätzen eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie, die uns Impulse gibt, welche Fragestellungen gerade relevant sind und wo Forschungsbedarf besteht. Ebenso wichtig ist, dass Unternehmen auf unsere Erkenntnisse reagieren und wir gemeinsam Lösungen entwickeln. Nur so können wir zusammen die richtigen Fragen stellen und Antworten finden.

Herr Breier, was braucht LAPP wiederum, um diesen Erwartungen gerecht zu werden? Welche Handlungsfelder sehen Sie für Politik und Wissenschaft?
Hubertus Breier: Der Zugang zu geförderten Forschungsprojekten muss einfacher und weniger bürokratisch werden, besonders für mittelständische Unternehmen wie LAPP. Zwar unterstützt uns unser wissenschaftlich besetzter Technologiebeirat tatkräftig bei der Identifikation von förderfähigen Projekten, dennoch ist die Antragstellung und das Berichtswesen oft aufwendig. Wir wünschen uns hier mehr Entbürokratisierung, damit wir mehr Ressourcen in Forschung und Entwicklung investieren können.

Welche Innovationen verfolgt LAPP konkret im Bereich Robotik?
Hubertus Breier: Innovationen im Produktbereich umfassen unter anderem die Entwicklung torsionsoptimierter Kabel mit neuen Schirmungstechnologien. Des Weiteren bauen wir auf Hybridkabel. Von Hybridkabeln spricht man, wenn man beispielsweise Anschluss- und Steuerleitungen mit Datenkabeln in einem Kabel realisiert. Dies bringt eine massive Platzeinsparung mit sich, was für alle Arten von Robotern von großer Bedeutung ist. Speziell bei Cobots, wenn Kabel vorzugsweise im Inneren geführt werden, ist dieser Schritt von großer Bedeutung. Durch den Austausch mit unseren Kunden, wie dem Hersteller eines Exoskeletts, exoIQ, erhalten wir Einblicke in deren Anwendungen und Herausforderungen und können so schnell und agil Innovationen vorantreiben. Außerdem bauen wir die Eigenständigkeit unserer Standorte in APAC aus, um dort schneller auf Marktbedürfnisse zu reagieren. Zudem prüfen wir Partnerschaften im Bereich humanoider Robotik, um frühzeitig Teil dieser zukunftsweisenden Entwicklung zu sein.

Blick in die Zukunft – wie sieht ein typischer Produktionsstandort in zehn Jahren aus, und welche Rolle spielt Robotik?
Katharina Hölzle: Zehn Jahre sind in diesem Feld eine wirklich lange Zeit, aber ich will mal mutig sein und der Einfachheit halber mal einen Blick nur auf Deutschland werfen: In Deutschland haben wir es geschafft, eine sehr individuelle und sehr hochwertige Fertigung aufzubauen. Gleichzeitig setzen wir in Europa durchaus auch auf Massenfertigung und entwickeln und produzieren Produkte, die sich anschließend sehr schnell für verschiedene Use Cases individualisieren lassen. Das erfordert ein Produktionsparadigma, über das wir aktuell nicht verfügen. In zehn Jahren sehen wir in Deutschland eine individualisierte, hochwertige Fertigung, die sich flexibel für verschiedene Anwendungsfälle anpassen lässt – ein „atmendes“ Produktionssystem, gesteuert durch KI und Robotik. Massenfertigung wird regionalisiert und stärker automatisiert.

Hubertus Breier: Die Globalisierung ist rückläufig, die Spezialisierung bleibt jedoch wichtig und damit gewinnt die lokale Wertschöpfung wieder an Bedeutung. Servicerobotik wird stark zunehmen, fahrerlose Transportsysteme werden die menschliche Arbeitskraft bei Routineaufgaben in manchen Bereichen ablösen. Humanoide Roboter werden Montagearbeiten übernehmen, Menschen werden bei körperlich belastenden Aufgaben entlastet – Exoskelette sind hier ein erster Schritt. Angesichts des demographischen Wandels ist diese Entwicklung essenziell für die Wettbewerbsfähigkeit. Wir müssen uns ständig die Frage stellen, wie wir den Menschen nachhaltig in der Wertschöpfung erhalten, denn nicht jeder kann Data Scientist oder Programmierer sein.

Katharina Hölzle: Wir werden Wertschöpfung immer im Kontext der Dienstleistung oder auch z.B. in der Baubranche haben. Hier müssen sich nur die Rollen neu finden. Hinzu kommt: Niemand möchte eine Gesellschaft, in der Menschen keinen sinnvollen Platz mehr haben. Dafür braucht es gesellschaftspolitische Diskussionen und eine systemische Perspektive: Wer tut künftig was? Welche Fähigkeiten und Verantwortlichkeiten braucht es dafür?

Vielen Dank für die wertvollen Einblicke und das Gespräch