LAPP
Prof.Meder

Professor Meder, Sie befinden sich gerade in Stanford, wo Sie eine Gastprofessur haben. Muss man als Wissenschaftler, der in Deutschland (Europa) mit der Digitalisierung die eigene Disziplin vorantreiben will, ins Silicon Valley reisen, um die technologischen Trends zu kennen?

Benjamin Meder: Das Silicon Valley hat nicht umsonst den weltweiten Ruf einer Innovationsregion. Es herrscht ein nahezu grenzenloser Optimismus was den Einsatz von Technologien angeht. Besonders die Zusammenarbeit von akademischer Forschung und Privatwirtschaft sowie mutigen Startups, kann vorbildgebend für Deutschland sein. Wer hier etwas Neues probiert und dabei auch mal scheitert, wird nicht schräg angeschaut, sondern als Teil dieser außergewöhnlichen Community geschätzt.

Was lehren Sie den Studierenden hier, was können Sie aus Ihrer Tätigkeit am Klinikum in Heidelberg vermitteln?

Hier an der Westküste herrscht große Bewunderung, wenn es um unser Gesundheitssystem und die sozialen Standards in Deutschland geht. Aber auch die die Qualität und Effizienz unserer klinischen Wissenschaften haben einen hohen Stellenwert in Kalifornien. „Made in Germany“ steht für Perfektionismus im positiven Sinne. Und dem German Engineering – wozu auch Medizininnovationen zählen – kommt demnach ein großes Vertrauen zu. Es gibt also einige Dinge, über die man gerne berichtet.

Deutschland steht im Ruf, bei der Digitalisierung sehr langsam zu sein. Wie würden Sie das auf dem Gebiet der Medizin bewerten?

Medizin ist hier leider kein positives Beispiel. Gerade hat die Ärzteschaft in Schleswig-Holstein festgestellt, dass die ungeschützte Übermittlung von E-Rezepten per SMS oder E-Mail mit dem Datenschutz nicht kompatibel sind. Solche Dinge hätten der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte – kurz Gematik, schon vor Jahren auffallen können. Aber jetzt hat man wieder einen Stolperstein bei einem an sich trivialen Digitalisierungsansatz gefunden. Wir drehen uns also praktisch im Kreis und jede Innovation wird durch Ausreden zum Datenschutz, Kosten oder fehlendem Personal zunichte gemacht. Aber selbst hier in Palo Alto geht Digitalisierung manchmal verworrene Wege, wenn einfache und alltägliche Abläufe durch komplexe Digitalisierungsalbträume ersetzt werden. Es braucht endlich mehr Mut!

Welches sind die größten Herausforderungen? Sie beklagen, dass der Datenschutz Fortschritte erschwert. Gibt es hierfür Lösungen?

Erstmal möchte ich klarstellen, dass der Datenschutz grundsätzlich keine Problemkonstruktion ist, sondern es sich um ein elementares Recht jedes Einzelnen handelt. Bei allen Bemühungen müssen wir also immer wieder die Rechte des Einzelnen auf Schutz seiner Privatsphäre und Daten berücksichtigen. Oftmals fehlt den Akteuren im Gesundheitssystem jedoch die klare Kenntnis über den Datenschutz; Verordnungen sind teilweise unpräzise und Rechtsprechungen existieren kaum. Dadurch entsteht ein Vakuum, eine Unsicherheit, die gerne als Vorwand für Fehlwirtschaft und Inkompetenz benutzt wird.

Es gibt moderne Ansätze, wie wir eine bessere Kontrolle über Daten behalten: indem wir zum Beispiel Algorithmen zu den Daten bringen und nicht umgekehrt. Das Geld wird ja auch in der Bank gezählt und nicht erst in einer großen, externen Halle gesammelt und dort zusammengerechnet. In Heidelberg beschäftigt sich Frau Prof. Engelhardt sehr intensiv mit dem Thema „Federated Learning“.

„Die Erfindung des Penizillins ist gleichzusetzen mit den Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz und digitaler Medizin.“

Prof. Dr. med. Benjamin Meder

Sie sind nicht nur in der Leitung eines Spitzenklinikums in Deutschland, sondern engagieren sich zudem in vielen Projekten, bei denen es um den Einsatz von Informatik, von Künstlicher Intelligenz in der Medizin, speziell der Interventionellen Kardiologie geht. Woher kommt diese Begeisterung für die Informatik? Welchen Fortschritt erhoffen Sie sich?

Ich habe bereits in der Schule und später im Zivildienst durch die Programmierung eigener Projekte unglaubliche Möglichkeiten von Digitalisierung erlebt. Ich persönlich glaube, dass die Erfindung des Rades, der Schrift, oder des Penizillins gleichzusetzen sind mit den Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz und digitaler Medizin. Da es sich jedoch um ein solch breites, teilweise unüberschaubares, wie dynamisches System handelt, glaube ich, dass es Leute braucht, die Ordnung und Übersicht hineinbringen. Das macht mir Spaß und das begeistert meine jungen Teammitglieder. Vorträge von KI-Experten haben bei uns meist viel mehr Zuhörer als zu anderen Themen.

In der Industrie, auch bei LAPP, wird mit dem „digitalen Zwilling“ gearbeitet, um ein Produkt oder Prozess aus der realen Welt zu verbessern. Auch in der Interventionellen Kardiologie geht es um das „virtuelle Abbild“ – gibt es bereits Ergebnisse?

Den digitalen Zwilling haben wir sozusagen mitbegründet – während früherer Arbeiten an komplexen Herzsimulationen, zusammen mit einem Unternehmen für Medizintechnik. Heute haben wir Projekte zum Herzzwilling direkt bei der Patientenversorgung, z. B. in der Elektrophysiologie oder bei komplexen Herzfehlern. Man kann viel von einem digitalen Abbild der Realität lernen, welche Details wirklich beitragen und das Ganze dann zielgerichtet beeinflussen, beziehungsweise optimieren. Wir setzen in der Medizin also heute schon die komplexe Rekonstruktion und Simulation für den Erfolg einer anschließenden Intervention ein.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören zu den häufigsten Todesursachen. Worauf dürfen Patienten hoffen, wenn die digitale Kardiologie vorankommt?

Ich denke KI-Systeme werden vor allem dafür sorgen, dass wir die Vielzahl an Informationen zu jedem einzelnen Patienten nicht aus dem Auge verlieren. Zudem müssen die Algorithmen Wichtiges und weniger Wichtiges in Entscheidungsprozesse integrieren, um ein Qualitätsniveau in der Fläche zu erhalten – heute ist das nur mit größtem personellem Aufwand möglich. Aber auch in der Prävention gibt es viel ungehobenes Potenzial, welches wir durch clevere Apps und digitale Kommunikationsnetzwerke in Zukunft hoffentlich heben können. Wenn wir es schaffen, das soziale Verhalten in unserer Bevölkerung durch Digitalisierung ein Stück weit gesünder zu gestalten, wird dies einen starken Einfluss auf die kardiovaskuläre Mortalität haben.

Muss jeder Mediziner heute auch Informatiker sein – gilt das vielleicht sogar für jedes Fach: Informatik als „Must“-Ausbildung?

Es wäre anmaßend, mich als Informatiker zu bezeichnen. Die Kollegen der Informatik haben ein komplettes Studium absolviert und daher ein ganz anderes Niveau. Aber es hat noch nie geschadet über den Tellerrand zu schauen und die Sprache anderer Fachdisziplinen einigermaßen zu beherrschen. Genau das versuchen wir in der eCardiology zu vermitteln. Wir lehren im Medizinstudium ja teilweise auch Physik und Chemie – warum sollten wir also nichts über die Programmierung von Machine Learning-Algorithmen vermitteln?

Wenn es um KI geht, liegen Utopie und Dystopie oft nah beieinander. Bei Medizin und Gesundheit erregen sich die Gemüter besonders schnell. Welche ethischen Regularien halten Sie für erforderlich, damit die Menschen ihr Vertrauen in unsere Medizin und Ärzt:innen behalten?

Ich denke, es sind die Werte, die wir vermitteln müssen, damit Änderungen und Neues im Sinne der Gesellschaft eingesetzt werden. Wenn wir es als Mediziner:innen und Gesellschaft nicht schaffen, diese fundamentalen Werte den Innovationen überzuordnen, kann aus einer Utopie auch eine Dystopie werden. Daher brauchen wir einen ständigen Diskurs darüber, was wir wollen, versus dem, was möglich ist. Ich glaube, wir werden leider noch viele Beispiele erleben, bei denen wir mit Künstlicher Intelligenz richtig negative Erlebnisse haben werden. Diese Szenarien sollten wir antizipieren und ihre Frequenz möglichst niedrig halten. Insgesamt glaube ich aber fest daran, dass der Nutzen von künstlicher Intelligenz für die Medizin überwiegt und die zunehmende Ressourcenknappheit gar nicht anders angegangen werden kann.

Zu Künstlicher Intelligenz wird in der Filmindustrie viel Fantasie geweckt und gefördert. Lieben Sie selbst Science-Fiction und wenn ja, welches ist Ihr Lieblingsfilm und warum?

I like science fiction movies. „Ich mag Science-Fiction-Filme. „2001 Space Odyssey“ von Stanley Kubrick ist ein wahres Meisterwerk. Bereits 1960 hat er viele Aspekte der künstlichen Intelligenz und möglicher Herausforderungen, beziehungsweise Fehlentwicklungen, hervorragend vorausgesehen und filmisch in brillanter Weise umgesetzt. Die künstliche Intelligenz HAL 9000 entwickelt ein Bewusstsein und eine gewisse Eigendynamik. Sukzessive stellt sie sich gegen die Interessen und Werte der menschlichen Besatzung. Insgesamt halte ich das für ein mögliches Szenario auf der dystopischen Seite; die KI hat im Film ihre eigenen Werte und Ziele geschaffen und steht in Konkurrenz zu den „Proteincomputern“- also uns Menschen.

Zum Schluss: Wenn Sie ein Drehbuch schreiben (oder beauftragen) dürften – welche Geschichte, welchen Plot sollte der Film erzählen?

Der Film spielt definitiv im Krankenhaus. Ich komme zur Visite, nehme mein iPad und habe von jedem Patienten die Daten und Ergebnisse visualisiert – auf einen Fingerzeig. Verordnungen und Untersuchungen kann ich einfach anfordern – wie bei einer Onlinebestellung. Die Ergebnisse von externen Befunden und Berichten werden nahtlos integriert und übersichtlich dargestellt. Aber das ist nur Science-Fiction.

 

Vielen herzlichen Dank für dieses Interview!

 

Veranstaltung der Oskar-Lapp-Stiftung am 17.10.2022 in Stuttgart

Infarktgefahr für die Gesellschaft
Wird in Zukunft Gesundheit neu definiert?
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in der Medizin

Weitere Informationen unter:
https://oskar-lapp-stiftung.de/infarktgefahr-fuer-die-gesellschaft-2022/