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Prof. Dr. Katharina Hölzle, Institutsleiterin des Instituts für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT) der Universität Stuttgart und geschäftsführende Institutsleiterin des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO).

In der Intralogistik beginnt eine neue Ära. Noch vor wenigen Jahren führten Roboter repetitive Handgriffe aus, die zuvor ein Mensch programmiert hatte. Heute lernen Maschinen, reagieren auf ihre Umgebung, interagieren mit Menschen und entscheiden selbstständig. „Wir erleben gerade den ChatGPT-Moment für die Robotik“, sagt Prof. Dr. Katharina Hölzle, Institutsleiterin des Instituts für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT) der Universität Stuttgart und geschäftsführende Institutsleiterin des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Wie Künstliche Intelligenz (KI) in der Text- und Bildgenerierung innerhalb kürzester Zeit neue Dimensionen eröffnet hat, so befähigt sie nun Roboter, weit über starre Routinen hinauszuwachsen. Physical AI, die Verbindung aus Robotik und lernfähigen Algorithmen, macht aus Werkzeugen Partner für den Menschen, die flexibel, vorausschauend und kontextsensitiv arbeiten.

Diese technologische Dynamik trifft auf eine Branche unter Druck. Während internationale Wettbewerber mit hohem Tempo in KI-gestützte Robotik und damit in eine erfolgreiche wirtschaftliche Zukunft investieren, behaupten sich Unternehmen in Deutschland in einer herausfordernden wirtschaftlichen Lage. Dies macht die Spielräume für Fehlentscheidungen geringer, was zu Vorsicht bei der Einführung neuer Technologien führt. Doch genau in diesen steckt eine historische Chance: Wer jetzt die Potenziale von intelligenter Robotik nutzt, kann Prozesse nicht nur effizienter und resilienter gestalten, sondern sich auch im globalen Markt als Vorreiter positionieren – und den Produktionsstandort Deutschland in eine neue Liga führen.

Intralogistik und KI-Robotik: der Status quo

Die Intralogistik gilt als stille Kraft hinter funktionierenden Lieferketten. Sie ist hochrelevant, steht aber selten im Rampenlicht. Derzeit steht die Branche wachsenden Herausforderungen gegenüber. Zwar wuchs das Produktionsvolumen in Deutschland 2024 um drei Prozent auf 27,7 Mrd. Euro und Deutschland exportierte Güter im Wert von 20,8 Mrd. Euro. Gleichzeitig zieht im internationalen Wettbewerb China mit 26,8 Mrd. Euro an Exporten (+13 %) davon.

Auch bei der Nutzung von KI zeigt sich eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zwar ist mehr als die Hälfte der Logistikunternehmen überzeugt, dass KI in Zukunft entscheidend für den Erfolg sein wird. Dennoch setzen bislang nur zwölf Prozent KI produktiv ein, während der überwiegende Rest in Pilot- oder Testphasen verharrt. Die größten Hindernisse sind: hohe Implementierungskosten (41 % der Unternehmen nennen sie als Haupthindernis), Datenschutz- und IT-Sicherheitsbedenken (36 %) sowie fehlende technische Kompetenzen (35 %). Hinzu kommen Akzeptanzfragen im Umgang mit autonomen Systemen.

Dennoch besitzt Deutschland eine starke Ausgangsposition: Mit 429 installierten Industrierobotern pro 10.000 Beschäftigten liegt die Roboterdichte über dem europäischen Durchschnitt, wenn auch deutlich hinter den Spitzenreitern Südkorea (1.012) und Singapur (770). Etwa ein Fünftel der deutschen Industrieunternehmen nutzt bereits KI-Robotik, weitere 42 Prozent planen deren Einführung.

Physical AI als Gamechanger

Immer zeigt sich: Die Verbindung von KI und Robotik markiert einen Wendepunkt für die Intralogistik. Während klassische Automatisierung fest programmierten Abläufen folgt, interagieren Maschinen mit Physical AI direkt in ihrer physischen Umgebung, reagieren auf Veränderungen und handeln eigenständig. Sensoren, Datenfusion und lernende Algorithmen bilden die Grundlage für präzise Interaktionen, Echtzeitplanung und die zuverlässige Ausführung komplexer Aufgaben.

In der Praxis bedeutet dies, dass Roboter sich flexibel an wechselnde Prozesse anpassen, fahrerlose Transportsysteme auch in unstrukturierten Lagerumgebungen sicher navigieren und Assistenzsysteme ihre Unterstützung situativ auf den Menschen abstimmen. So entstehen selbstoptimierende Systeme, die nicht nur schneller und präziser arbeiten, sondern auch die Resilienz ganzer Logistiknetzwerke erhöhen.

Ihr Potenzial geht weit über Effizienzsteigerungen hinaus: KI-Robotik kann neue Anwendungsfelder erschließen, datengetriebene Geschäftsmodelle ermöglichen und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, etwa durch Null-Fehler-Produktion, optimierte Ressourcennutzung oder Wiederverwendbarkeit von Komponenten. Doch der Weg dorthin erfordert mehr als nur technologische Investitionen. Mit Physical AI sind auch neue Fragen verbunden: Wie lässt sich die Komplexität flexibler Automatisierung beherrschen? Welche regulatorischen Leitplanken sind nötig? Und wie gelingt es, Akzeptanz und Vertrauen bei den Menschen zu gewinnen, die künftig mit solchen Systemen zusammenarbeiten werden?

Wie KI-Robotik schon heute Mehrwert schafft

Zugleich zeigen Projekte aus der Praxis, dass KI-Robotik ein realer Wertschöpfungsfaktor ist, der Effizienz, Flexibilität und Qualität messbar steigert. In einem experimentalen Aufbau eines süddeutschen Automobilherstellers testen Mitarbeitende beispielsweise neue KI-gestützte Assistenzsysteme für Montage und Logistik. Beim Kommissionieren werden ihre Blickbewegungen per Eye-Tracking erfasst und analysiert. So erkennt das System, wenn ein Teil fehlt oder ein Arbeitsschritt nicht wie geplant verläuft, und gibt in Echtzeit visuelle oder akustische Signale. Das Ergebnis sind weniger Fehler, eine zuverlässigere Versorgung der Produktion und eine körperliche und mentale Entlastung.

Im Rahmen des Fraunhofer-Leitprojekts „Empathische Robotik” entwickeln Forschende Systeme, die physische und emotionale Zustände von Beschäftigten erkennen und darauf reagieren. Roboter registrieren beispielsweise während der Montagearbeit, wenn sich ein:e Werker:in in einer ergonomisch ungünstigen Position befindet. Entsprechend passt er die Unterstützung an durch veränderte Bewegungsabläufe oder die Übergabe von Werkzeugen. Daraus folgt eine sicherere und produktivere Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine.

Ebenso gibt es Beispiele eines Druckmaschinenherstellers, der gemeinsam mit einem Anbieter von Implementierungsleistungen in Data Science, Machine Learning und AI die Bestandsplanung für Verbrauchsmaterialien in Druckereien neu gedacht hat. Anstelle fixer Bestellzyklen ermitteln Machine-Learning-Algorithmen den tatsächlichen Bedarf in Echtzeit. Liefermengen und -zeitpunkte werden so optimiert, dass Bestände sinken, die Disposition entlastet wird und das Material immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Das Vendor-Managed-Inventory-Modell lässt sich damit auf deutlich mehr Kunden skalieren, ohne den Bedarf von zusätzlichem Personal.

Jetzt handeln, Zukunft gestalten

Weil die Vorteile der KI-Robotik klar auf der Hand liegen, ist Prof. Dr. Katharina Hölzle überzeugt: „Die Einführung von KI-Robotik darf nicht auf die lange Bank geschoben werden. Wir müssen raus aus der Beobachterrolle und rein ins Handeln. Denn nur wer Technologien aktiv erprobt, sammelt die Erfahrungen, die später den Unterschied machen.“

Der erste Schritt muss daher sein: Machen. Das bedeutet konkret: Pilotprojekte starten, Erkenntnisse gewinnen und Erfolge ausbauen. Zweitens muss der Faktor Mensch immer mitgedacht werden. Mitarbeitende müssen von Anfang an beteiligt werden, um Akzeptanz zu schaffen und Kompetenzen aufzubauen. Drittens braucht es Kooperation: Nach dem „System-of-Systems“-Ansatz werden Daten geteilt, Schnittstellen geschaffen und Synergien zwischen Partnern genutzt.

Hölzle sieht die Verantwortung jedoch nicht allein bei den Unternehmen: „Politik, Wirtschaft und Wissenschaft müssen gemeinsam die Rahmenbedingungen schaffen, damit Deutschland im internationalen Wettbewerb vorne bleibt.“ Baden-Württemberg könne hier als Modellregion vorangehen, da es dafür ideale Voraussetzungen bietet: eine dichte Forschungslandschaft, starke einschlägige Technologieunternehmen wie LAPP, viele Roboterhersteller und ein innovationsfreundliches Ökosystem. Der Weg von einzelnen Pilotprojekten hin zu einer flächendeckenden Umsetzung wird sich lohnen, ist sich Hölzle sicher: „Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung, die Produktion und Logistik grundlegend verändern wird. Wer jetzt die richtigen Weichen stellt, wird langfristig profitieren.“