LAPP

Was ist Industrie 5.0? Das wird Prof. Oliver Riedel in der letzten Zeit öfters gefragt. Dann antwortet der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und Leiter des Universitäts-Instituts für Steuerungstechnik in Stuttgart mit einer Anekdote. Vor vielleicht sechs Jahren wollte ein Freund aus Japan, von ihm wissen: „Was ist Industrie 4.0?“ Riedel erzählte von der Vernetzung von Dingen und cyberphysischen Systemen, so wie es sich die Plattform Industrie 4.0 eben ausgedacht hatte, als sie den Begriff 2011 in der Öffentlichkeit lancierte und damit einen echten Hype auslöste. Der Freund fragte weiter: „Und wo bleibt da der Mensch?“ Riedel musste eingestehen: In Deutschland habe man sich viel damit befasst, wie Maschinen untereinander kommunizieren, aber nicht, wie sie mit Menschen kommunizieren und überhaupt, was das den Menschen bringe. Das IAO hat das Thema aber nie aus den Augen verloren, betont der Fraunhofer-Wissenschaftler.

Mit dem Leitspruch Mensch-Technik-Organisation legte das Institut bereits 1981 die Basis für das, was nun als Weiterentwicklung der Industrie 4.0, der Industrie 5.0 gilt: Technik, die dem Menschen dient und diese mit sozialen Aspekten und nachhaltigem Wirtschaften verbindet.

Dass Riedels Freund so selbstbewusst den Finger in die Wunde von Industrie 4.0 legen konnte, hängt mit dem japanischen Konzept der Society 5.0 zusammen. Gemeint ist damit „eine auf den Menschen ausgerichtete Gesellschaft, die ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichem Fortschritt und der Lösung sozialer Herausforderungen durch ein System herstellt, das den Cyberspace und den physischen Raum stark integriert“ – also das, was nun auch in Deutschland mit Industrie 5.0 Bedeutung erhält. Diese japanische Sichtweise auf die Dinge hält nun mit Industrie 5.0 auch in unserer Industrielandschaft Einzug. Bei Industrie 5.0 liegt der Fokus erstmals in der Historie der industriellen Revolutionen auf dem Wohl der Menschen und nicht mehr allein auf der Maximierung der Digitalisierung und Maschinenvernetzung zur weiteren Effizienzsteigerung, wie es bei Industrie 4.0 noch der Fall ist. Statt Menschen durch Maschinen zu ersetzen, sollen die Menschen nun befähigt werden, ihre Arbeit besser zu bewältigen. Wobei mit „besser“ eben nicht wieder nur „effizienter“ gemeint ist, sondern auch eine Arbeit, die als sinnstiftender empfunden wird und die den Schutz von physischer und psychischer Gesundheit fördert.

Von Industrie 4.0 zu 5.0

2011 prägte Henning Kagermann, Präsident des Forschungsrats der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und ehemaliger Vorstand von SAP, auf der Hannover Messe den heute allgegenwärtigen Begriff Industrie 4.0. Maschinen müssen weiter vernetzt und Prozesse automatisiert werden, für mehr Effizienz und Transparenz. Bereits fünf Jahre später nutzte Kagermann auf der Hannover Messe 2016 erstmals den Begriff „Industrie 5.0“, mit dem er eine „intelligente, vernetzte und flexible Produktion“ bezeichnet, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Die Europäische Kommission griff 2021 das Konzept „Industrie 5.0“ in ihrem Weißbuch auf. „Es berücksichtigt die Lehren aus der Pandemie und die Notwendigkeit, ein industrielles System zu entwickeln, das von Natur aus widerstandsfähiger gegen künftige Schocks und Belastungen ist und die sozialen und ökologischen Grundsätze des Europäischen Green Deal wirklich integriert.“

Die größte Herausforderung dabei: Die technische Komplexität in Fabriken nimmt immer weiter zu und der Mensch hält kaum noch Schritt. Deshalb brauche es Filter, um die Komplexität auf das richtige Maß zu reduzieren, fordert Oliver Riedel. Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen (ML) könnten solche Filter sein, die den Menschen unterstützen. Doch umgekehrt sei auch KI auf menschliche Unterstützung angewiesen. Mit den neuen KI-Studios, der Experimentalumgebung in der Modellfabrik und auch den themenzentrierten Innovations-Netzwerken bietet das IAO Transformationsformaten für die Industrie an.

Hubertus Breier, Board Innovation & Technology
Herr Univ.-Prof. Dr.-Ing. Oliver Riedel, Institutsleitung, Professur Produktionstechnische Informationstechnologien Institutsleiter Fraunhofer IAO

Das zeigt folgendes Beispiel: Einer von Oliver Riedels Doktoranden befasste sich in seiner Promotion mit Lichtbogenschweißen und entwickelte ein Verfahren, das unter Einsatz von maschinellem Lernen mit einem Akustiksensor auf die Qualität von Schweißpunkten schließt. Das Ziel: die Qualität steigern und Werkende von öden Inspektionsarbeiten entlasten. Die Frage war, wie viele Schweißpunkte das Modell braucht, bis es ausreichend trainiert ist. Man sei von ein paar Tausend ausgegangen. Am Ende der Promotion, nach vielen Stunden im Labor, dann das ernüchternde Ergebnis: 120.000 Schweißvorgänge mussten ins Modell gefüttert werden, bis es die Qualität korrekt angeben konnte. „KI und ML braucht immer den Menschen als Initialzündung“, so Riedel. Für den IAO-Direktor ist KI darum keine Konkurrenz zu Menschen oder eine Bedrohung für Arbeitsplätze. „KI soll die technische Komplexität zum Wohl des Menschen reduzieren und ist damit ein gutes Beispiel für die Idee von Industrie 5.0.“

Für den Institutsleiter am IAO bietet Industrie 5.0 große Chancen für Unternehmen wie LAPP. Er sei seit Jahren mit dem Technikvorstand in Kontakt und diskutiere die Möglichkeiten für das Unternehmen. Die bestünden im Inneren – etwa bei der Entstehung von Produkten und deren Fertigung. Aber auch in der Kultur.

Bei LAPP stehen Mitarbeitende schon seit Gründerzeiten im Mittelpunkt und werden als Teil einer LAPP Familie betrachtet. Nun geht es darum, vor allem die in der Produktion arbeitenden Menschen bei LAPP durch Innovationen und Optimierungen in den Mittelpunkt zu stellen. „Unsere Mitarbeitenden sind der wichtigste Erfolgsfaktor für LAPP. Daher legen wir in unserer Strategie den Fokus darauf, wie sich neue Technologien nicht nur effizient für unsere Produktion einsetzen lassen, sondern auch, wie diese Technologien unsere Mitarbeitenden bestmöglich unterstützen können – also, das Zusammenspiel von Mensch mit künstlicher Intelligenz in prozessualisierten Arbeitsabläufen“, so Hubertus Breier, Vorstand für Technik und Innovation bei LAPP.

Das mittelständische Unternehmen setzt seit einigen Jahren auf KI-Anwendungen im Arbeitsalltag. Im Finanzbereich, beispielsweise bei der elektronischen Kontoauszugsverarbeitung, werden Kontoauszüge in der Kontoauszugsnachbearbeitung bei LAPP nun vollautomatisch von der Cloud interpretiert. Auch das Supply Chain Management setzt bei der Suche nach neuen Lieferanten auf eine KI-Lösung: Die dort eingesetzte Software kann in Hochgeschwindigkeit das Internet durchforsten, findet Lieferanten auf der ganzen Welt, bewertet sie und generiert eine Liste mit den vielversprechendsten Unternehmen. Diese kann das Einkaufsteam dann gezielt angehen.

Die Fokussierung auf den Menschen ist besonders im französischen Kabelproduktionswerk der LAPP Gruppe erlebbar: Die Câbleries Lapp SARL im französischen Forbach ist das erste Werk, das im Zuge der Optimierungsstrategie im weltweiten Produktionsnetzwerk der LAPP Gruppe umfangreich modernisiert wird. Ein Beispiel hierbei ist die Optimierung der Aderstraße: Traditionell ist das Layout einer solchen Produktionslinie in einer Linie aufgebaut. Das bedeutet lange Laufwege für die Mitarbeitenden. Der neue Aufbau ist in einer U-Form angeordnet, um den Menschen herum. Ziel dabei ist es, alle Arbeitsstationen der Anlage möglichst nebeneinander zu platzieren. Das verkürzt die Laufwege für die Mitarbeitenden um 96 Prozent, reduziert die Umrüstzeiten von 10 auf sechs Minuten und die Maschine schneller produzieren. Davon profitieren wiederum die Kunden.

Susanne Krichel, Head of Innovation & Advanced Technology
Susanne Krichel, Head of Innovation & Advanced Technology

Nach außen findet sich die Idee von Industrie 5.0 in einer noch stärkeren Fokussierung auf die Bedürfnisse der Kunden und deren Mitarbeitenden wieder. Ein Beispiel: Ein Kunde bestellt 20 Kilometer Ethernet-Kabel. LAPP weiß durch diesen Auftrag: Der Kunde möchte die Kommunikation in seiner Fabrik sichern – ausfallsicher. Als Partner der Industrie und im stetigen Austausch mit den Kunden, kann der Verbindungsspezialist daher nicht nur mit Kabeln, sondern auch durch Hubs und Switches das Kundenbedürfnis erfüllen. Und das mit höchsten Qualitätsstandards.

Für LAPP ist diese Denkweise, die Komplexität in hochautomatisierten und technologisierten Maschinenparks zu reduzieren, nicht neu. Ein Beispiel ist ETHERLINE® GUARD, eine kleine Box, die anhand der Übertragungsqualität eines Datenkabels einschätzt, ob das Kabel demnächst ausgetauscht werden sollte. Oder der Health Check Service für Datennetze, der unter anderem EMV-Probleme aufspürt und Verbesserungen vorschlägt. Neu aus dem Innovationsteam bei LAPP stammt nun auch die smarte Kabeltrommel, die automatisch Nachschub bestellt, wenn das Kabel darauf zu Ende geht.  Hier schließt sich wiederum der Kreis zu Industrie 5.0 und dem Bestreben von LAPP, stets das Kundenbedürfnis in den Vordergrund zu stellen: „Unsere Technologie dient dazu, Komplexität zu reduzieren und den Menschen beim Kunden das Leben zu erleichtern. “, fasst Dr. Susanne Krichel, Leiterin Innovation & Advanced Technology zusammen. „Während in Japan dieses Thema bereits ein ‚alter Hut‘ zu sein scheint, haben wir noch einiges aufzuholen – aber, dass dieser Ansatz nun auch bei uns in der Industrie so viel Gewichtung erhält, zeigt mir, dass es der richtige Weg ist, den LAPP geht. Um am Ende einen Beitrag zu leisten für eine lebenswertere Welt.“